Reisenotizen von Nicolas Eyer
Über das Essen in Sizilien könnte man ohne Mühe ganze Bücher schreiben, über die Früchte, die hier gedeihen, wie etwa Granatäpfel, Kaktusfeigen, Orangen, Zitronen, den Carrubo, Khaki, . . .
Und dann sind da die Spezialitäten wie etwa die Scacce, gefüllte Teigfladen, die im Holzofen gebacken werden und durch die Zugabe von sündhaft viel Olivenöl wie von innen frittiert werden, oder jene kleinen Hackbällchen, die Francos Frau Rita mit viel Prezzemolo zubereitet und die in Wirklichkeit aus hunderten von Babyfischchen bestehen: Wenn man sie zerteilt – mit der Gabel, denn sie sind butterzart –, ist ihr Inneres ganz hell, fast weiss, und gesprenkelt von den Augen der winzigen Fische, eine Delikatesse, die gleichzeitig wie eine Sünde anmutet, denn diese Bällchen sind ein Massenmord en miniature, ein Genozid an unschuldigen Fischchen, deren einziges Vergehen darin bestand, sich in den feinen Netzen zu verfangen.
Überhaupt scheinen Essen und Sünde hier so nahe beieinander zu liegen wie kaum sonstwo.
Das sieht jeder, der, wie wir heute Morgen, Süssigkeiten einkaufen geht. Wir waren unten in Pozzallo in der Pasticceria, wo die Vitrinen und Kühlschränke voll waren von Torten in allen Formen und Farben: dunkelbraun, grün, rosa, rund oder viereckig, verziert mit Streuseln und mit bunten Marzipandreiecken, kleine Kunstwerke aus Biskuitteig, Rahm, Schokolade und Unmengen von Zucker; dazu Berge von Mandelgebäck, von Cannoli, von Pralinen und Truffes aus dunkler, weisser und Milchschokolade; das Grün der Pistazien, das Goldbraun der Haselnüsse, das Weiss von Ricotta und Zuckerguss, ein Rausch von Düften, Geschmäckern, Formen und Farbnuance.
Bei all diesen süssen Verfehlungen verwundert es nicht, dass hier im Südosten die Karwoche besonders gefeiert wird mit Prozessionen von Büssern, die zentnerschwere Heiligenstatuen auf ihren Schultern durch die Städte tragen. Schliesslich gilt die Völlerei als Todsünde, freilich als eine, der alle verfallen sind und die zu den schönsten zählt.
Und, ganz ehrlich: Wer könnte diesen Verlockungen schon widerstehen?
FOTO CUCCHIAIO SICILIANO