Die Tonnara von Avola war die grösste Thunfischfabrik auf Sizilien. Das Baujahr geht auf 1633 zurück. Foto Nicolas Eyer
Sizilien ist eine Insel mit unendlich vielen Nuancen, an dem die Geschichte sich dem Betrachter gelassen, aber voller Stolz präsentiert. Ich denke da an die Invasionen, die Kunst und deren baulichen und kulturellen Zeugnisse. Es ist unmöglich, über Sizilien zu sprechen, ohne sich mit seiner Vergangenheit auseinander zu setzen. Denn während dieses Land in die Zukunft blickt, verharrt es in der Balance zwischen dem, was es gestern war, und dem, was es heute ist. Und genau das fasziniert mich: Das Verhältnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Die Verbindung von Tradition und Innovation macht Sizilien zu einem der begehrtesten Reiseziele zu jeder Jahreszeit.
Dies wird unter anderen Kulturgütern augenfällig illustriert von den zahlreichen historischen Anlagen für den Thunfischfang auf Sizilien. Die bis zum heutigen Tag erhaltenen so genannten Tonnare (Thunfischfabriken) verdeutlichen, dass der Fang von Thunfisch und dessen Verarbeitung äusserst profitabel waren. Der Fang von Rotem Thunfisch wurde bereits in byzantinischer Zeit betrieben. Die Geschichte des Thunfischfangs ist umfassend und interessant. Es waren aber die Araber, die um das Jahr 1000 herum die Technik zum Fang und zur Verarbeitung des Fischs perfektionierten.
Im Jahr 1800 stand die Familie Florio aus dem Höhepunkt ihres Erfolgs und besass Dutzende von Thunfischfabriken in Sizilien. Es gibt viele Anlagen, teils stillgelegt, teils umgebaut, die sich zu einem Besuch anbieten. Vom Westen bis zum Osten der Insel erstrecken sie sich über die Provinzen Palermo, Trapani, Agrigento, Caltanissetta, Ragusa, Siracusa und Messina. Im Osten Siziliens lagen einst die so genannten "Tonnare di ritorno", deren Aufgabe es war, Thunfisch am Ende der Laichzeit zu fangen (Tonnara von Vendicari).
Der traditionelle Fischfang vor Sizilien hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Vor allem deshalb, weil der Thunfischbestand immer rückläufiger geworden ist. Heute haben die wenigen Thunfischer auf der Insel vielleicht noch Arbeit für 100 Tage – von März bis Anfang Juni. Dann ist die Saison vorbei. Das ist zu wenig, um davon leben zu können. Unproduktive Tonnare finden wir in Sizilien u.a. auch noch in Scopello, in Marzamemi, in Santa Panagia, in Avola, in Porto Palo di Capo Passero, in Palermo und in Favignana.
„Mattanza“ nennen die Süditaliener den Angriff auf die nicht selten 100 Kilogramm schweren Thunfische. Es ist ein wahres Gemetzel, wenn die Fischer mit ihren langen Harpunen zuschlagen. Nur auf den Kopf des Thunfischs, denn sonst würde das Fleisch stark beschädigt. Der Todeskampf der grossen Fische kann bis zu zehn Minuten dauern.
Wenn auf Favignana – einer kleinen Insel vor Trapani und Marsala –, der Thunfischfang im Frühjahr losgeht, verfolgen viele Touristen dieses Spektakel. Die Fischer legen grosse Netze in ca. 30 m Tiefe ins Meer. Diese riesigen Netze sind in viele so genannte „Kammern“ unterteilt. Die Thunfische werden von Kammer zu Kammer gejagt.
Im letzten Netz, der „Todeskammer“ entgehen sie den Fischern nicht mehr. Das grosse Netz wird in mühseliger und kräftezehrender Arbeit, teils mit Winden, vielfach aber auch von Hand, an Land gezogen. Dann beginnt die „Mattanza“, das Gemetzel, welches sich über viele Stunden hinziehen kann. Es wird lautstark gesungen, derweil die Thunfische sich sträuben aber keine Chance haben, dem Gemetzel noch entfliehen zu können.
Wissenswertes zur Geschichte der Tonnare
Die Tonnara di Favignana, ist mit 32.000 qm eine der grössten Anlagen des gesamten Mittelmeerraums. Hier ist ein Antiquarium untergebracht, eine Ausstellungsfläche mit Museum und Multimedia-Sälen, wo Videos den Thunfischfang selbst (Mattanza genannt) und die Anlage erläutern.
Die Tonnara von Scopello, einst im Besitz der Familie Florio, ist dank ihrer Lage besonders schön, weil sie von Felsklippen umgeben in das glasklare, tiefblaue Meer hinaus ragt.
in der Provinz Syrakus liegen die Tonnare von Vendicari, Capo Passero und Avola. Letztere stammt aus dem Jahr 1633 und ist die grösste im östlichen Sizilien.
Die Tonnara von Marzamemi gehört zu den ältesten Anlagen und wird heute für private Veranstaltungen und Hochzeiten genutzt.
Die Tonnara di Vendicari, ist eine der „Tonnare di ritorno“. Heute ein Symbol für die glorreiche Vergangenheit dieses Industriezweiges und ein landschaftsgestaltendes Element von besonderem Reiz.