Wer Marzamemi in Richtung Portopalo di Capo Passero – wo Sizilien endet und Afrika beginnt –, verlässt, erhascht aus dem fahrenden Auto heraus ein „Geisterschiff". Uns ist es auf jeden Fall so vorgekommen, als wir im Frühjahr 2022 diesem eindrücklichen Küstenstrich einen Besuch abstatteten.
Von weitem ist die Insel von Capo Passero sichtbar. Das Meer ist ruhig an diesem strahlend schönen Vormittag. Die lange Küstenstrasse ist zu dieser Jahreszeit kaum frequentiert.
Nur ein paar mutige Radfahrer sind unterwegs. Mutig deshalb, weil hier auf dieser Strecke immer wieder imaginäre Autorennen stattfinden sollen, glaubt man den Anwohnern, die hier zwischen Marzamemi und der kleinen Ferienresidenz Morgella ihre Ferienhäuser gebaut haben.
Hier kann man einem der vielen „Schiff der Hoffnung“ begegnen, welches sanft auf der Felsenküste liegt, als wolle es nicht stören. Aus Metall, blau wie die Angst, die das Meer macht, wenn man seine Heimat verlässt und sich auf das Schicksal verlässt, das andere für einen vorgesehen haben.
Das Schiff ist in der türkischen Stadt Iskenderun auf den Namen "Alì Baba" getauft worden. So steht es zumindest auf dem blauen Heck und am Bug des Kahns geschrieben.
Wikipedia zeigt auf:
"Früher war Iskenderun ein Hafen für Aleppo in Nordsyrien. Heute ist die Stadt das bedeutende Handelszentrum einer Region, in der Getreide, Tabak und Zitrusfrüchte angepflanzt werden. Sie ist aber auch ein wichtiges Industriezentrum und der Endpunkt einer langen Ölpipeline aus dem Nordirak. Ausserdem ist Iskenderun einer der wichtigsten Mittelmeerhäfen der Türkei."
Die dem Meer zugewandte Längsseite der "Alì Baba" ist über die steinige Uferstruktur nur mühsam zu erreichen. Und dennoch glaubt man in der leichten Meeresbrise eine baumelnde, zerschlissene Jacke an einer Brüstung hängend zu sehen. Und eine halboffene Türe, die zu einem Laderaum führt.
Wie lange die "Alì Baba" schon hier liegt, und wie das eher kleine Schiff hierher gekommen ist; solche und andere Fragen stellen sich unverzüglich. Welches Schicksal wohl die Belegschaft eingeholt hat? Wurde der Kahn irgendwann, – wohl durch einen starken Wellengang –, hier an Land katapultiert? Oder sind etwa Syrische Flüchtlinge mit der "Alì Baba" hier gestrandet?
CHI LO SA?
In meiner Phantasie und in meinem Gedankengang verblüfft mich die Tatsache, dass ein rostiger Kahn hier im tiefen Süden Siziliens beinahe als Kunstwerk ausgestellt ist. Die Bürokratie hat es wohl längst aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Die Szenerie hier unweit von Marzamemi könnte durchaus in einem Roman beschrieben werden.
Es ist eines von vielen solcher Schiffe aus blauem Holz oder Metall, dem wir Menschen in der Hoffnung begegnen, dass wir unsere Heimat nie verlassen müssen . . .
Als wir im Frühjahr 2023 erneut an diesem Küstenstreifen vorbeifuhren, staunten wir nicht schlecht:
Die "Alì Baba" war nicht mehr da! Die Gemeinde Pachino liess das Wrack zwischen dem 10. April und dem 11. Mai 2023 sichern und abtransportieren.